AD(H)S-ler: Neuerdings die Deppen der Nation?

Gestern hab ich auf hier bei Facebook auf einer Seite, die eigentlich recht coole und witzige Sprüche bringt, folgendes gelesen:

Heute heißt es nicht mehr vom Tellerwäscher zum Millionär,

sondern vom ADS-Problemkind zum Youtube-Star.

Hahaha, wie witzig, selten so gelacht.

Zum Thema ADS/ADHS muss mir keiner etwas erzählen. Ich gehöre auch zu denen die mit der Aufmerksamkeit/der Konzentration ein Problem haben, bin auch auf ADHS getestet worden, und würde durchaus sofort eine Medikation bekommen.

Da ich mir aber mit 45 Jahren eine Strategie zugelegt habe über die Jahre, kann ich damit recht gut leben, meistens jedenfalls. Teilweise ist es nicht einfach, ich stolpere oft über mich selber, steh mir selber im Weg, mich macht es streckenweise auch traurig weil es anstrengend ist. Meine Freunde kennen mich so, und sagen mir oft dass mich genau diese „Verstrahltheit“ so sympathisch macht.

Wer einen solchen Spruch wie oben lustig findet, dem unterstelle ich ein ganz ganz mieses Wissen über diese Verhaltensauffälligkeit. Ja, es ist eine Auffälligkeit, keine Erkrankung.

Die Betroffenen können wichtige und unwichtige Dinge nicht filtern, Geräusche oder optische Reize strömen unsortiert auf sie ein. Das ist total anstrengend, Du saugst alles auf und nimmst alles wahr, der Kopf ist voll von so vielen Eindrücken.

Für Kinder die davon betroffen sind beginnt schon recht früh ein steiniger und harter Weg, sie sind nicht zu beneiden.

Man muss schon einen guten Arzt finden der sich wirklich mit der Thematik auskennt um es testen zu lassen, um Therapien zu bekommen, um einen guten weiteren Verlauf garantieren zu können.

Da AD(H)S heutzutage ja als „Modekrankheit“ gilt, ist das nicht so einfach. Teilweise wird diese Diagnose Kindern aufs Auge gedrückt die einfach nur sehr lebhaft sind, teilweise werden Kinder die wirklich zu diesem Klientel gehören, abgestempelt mit den Worten „Einfach nur lebhaft, alles gut.“

Von daher sind Fachärzte irrsinnig wichtig. Und die sind teilweise so überlaufen, dass man auf einer Warteliste landet (zumindest war das vor Jahren so). Ich kenne Eltern deren behandelnde Ärzte über 100 km weit weg waren, und die für einen Arztbesuch mal locker einen ganzen Tag brauchten.

AD(H)S-ler sind schon recht früh, teilweise im Kleinkindalter Außenseiter, weil sie einfach nicht so funktionieren wie der Rest. Sie fallen immer auf, sind nervig, laut, bauen nur Mist, sind nicht in Schach zu halten. Sprüche wie „dem gehört mal gehörig der Arsch versohlt“ kennen Eltern dieser Kinder sicherlich zu Genüge. Kinder wenden sich ab, deren Eltern wenden sich ab, der soziale Rückzug beginnt.

Selbst Pädagogen, sprich Erzieherinnen/Lehrer sind stellenweise so unvertraut mit dem Problem, dass die Eltern dieser Kinder Anrufe, Briefe oder Gespräche über sich ergehen lassen müssen, die einem penetrant das Gefühl geben als Elternteil komplett versagt zu haben. Ich hab schon Sachen erlebt und gehört, da verschlug es mir die Sprache.

Ein solches Kind ist eine Bewährungsprobe für die ganze Familie, und nicht selten ist das Leben mit einem AD(H)S-Kind so anstrengend und fordert so viel Kraft, dass Paare es gemeinsam nicht schaffen und einer aussteigt.

Alleinerziehend mit einem AD(H)S-Kind: Da brauchst Du Power und Nerven. Ich hab schon viele Eltern kennengelernt, und es sind immer die gleichen Probleme die auftauchen. Wenn Du Dein Kind therapieren möchtest, und wohnst ländlich, musst also in die nächstgelegenen Großstädte in denen Therapieformen angeboten werden, dann brauchst Du Zeit und einen prallgefüllten Geldbeutel, denn Hilfe in Form von Fahrtkosten etc. gibt es nicht. Das mal als Beispiel am Rande.

Da Du aber als Elternteil nicht ganztags arbeiten gehen kannst, eben weil diese Kinder viel Aufsicht brauchen, sind diese Fahrten eine Belastung, eine finanzielle Belastung. Finde mal einen Job im Vormittagsbereich auf den alle scharf sind: Das ist schwer. Und wer gibt gerne offen zu, ein AD(H)S-Kind zu haben? Da spricht man irgendwann nicht mehr drüber, weil größtenteils saudumme Kommentare folgen, nicht selten aus Unwissenheit.

Die Kinder müssen mehrmals die Woche durch die Gegend gekarrt werden, und sich noch ganz anderen Dingen unterziehen, und sie finden es sicherlich NICHT lustig.

Das Thema Medikation:

Wer ein solches Kind ohne und mit Medikation kennenlernt, wird verstehen dass es für viele Eltern keinen anderen Weg gibt. Damit wird das Kind auch nicht ruhiggestellt, nein, man sorgt dafür dass diese Kinder einen Teil des Tages „normal“ sein dürfen, dem Schulunterricht folgen können, eine Kommunikation mit der Familie erleben dürfen die „normal“ ist, die Sozialkontakte pflegen dürfen und können, die selbstverständlich sein sollten. Kein Elternteil ist stolz darauf mit einem BTM-Rezept (Betäubungsmittel-Rezept) in einer Apotheke zu stehen, da hast Du jedes Mal Bauchschmerzen. Diese Medikamente würden bei allen anderen aufputschend wirken, bei den Hyperaktiven jedoch sorgen sie dafür dass sie runterkommen und besser sortiert sind.

Und wenn ich das immer höre: „Früher gab es das auch nicht, moderne Neuerkrankung.“ Bullshit! Das gab es früher auch schon. Da haben die Kinder sicherlich mehr Schläge als alles andere bekommen, negative Kommentare und ein negatives Feedback etc. Ich hab mal eine Ärztin kennengelernt die selber betroffen ist, war sehr spannend wie sie darüber berichtete und welche Strategien sie sich zurechtgelegt hat.

AD(H)S betrifft nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Als Erwachsener kannst Du Dein „Chaos im Gehirn“ begreifen, als Kind erstmal nicht.

Ich drück mich mal direkt aus: Es sind arme Schweine, über die geurteilt wird, die verurteilt werden, die sich Sachen anhören müssen die so verletzend sind, die regelrecht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, und über die dann noch so saublöde Kommentare wie der obige abgelassen werden.

Ein ADS-Kind mit einem Tellerwäscher zu vergleichen ist eine Unverschämtheit! Gerade ADS-ler haben teilweise einen sehr hohen IQ, sie können ihn aber nicht nutzen weil sie sich im Weg stehen und so nicht an ihre Kapazitäten gelangen. Zum Wort „Tellerwäscher“ sag ich besser gar nichts.

Ich könnte zu diesem Thema noch viel mehr vom Stapel lassen, lasse es jetzt aber gut sein. Die, die es lesen sollten, werden es nicht tun, da bin ich mir sicher.

Ich schließe das jetzt hier mal mit einer noch direkteren Wortwahl:

„Wer keine Ahnung hat, sollte einfach mal die Fresse halten!“.

Ich distanziere mich in Zukunft von Seiten/Menschen die so etwas erniedrigendes ablassen, da könnt ihr nen Eis drauf essen.

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